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Eine Frage

des Stils

Exemplarische Ausformungen einer Wissenschaftsvermittlung in der (Service-) Robotik

Andrea Sick

Wenn wir nach dem Verhältnis von "Subjekten" und "Dingen" fragen und dieses, wie es der französische Wissenschaftstheoretiker und Kurator Bruno Latour in zahlreichen seiner Projekte vorschlägt, als eine "Shared Agency" darstellen, ist es auch eine Stilfrage seine Ausformungen zu beschreiben. Denn der Stil, so behaupte ich, ist der "spitze Gegenstand", der die Wissenschaftsvermittlung realisiert und durchquert. Er ist es, der auf dem Forschungsfeld der "Robotik" und "Künstlichen Intelligenz Forschung" solche Artikulationen wie die RoboCup mit ihren lange Zeit populären Sony-Roboterhunden [^1] und Honda-Humanoiden namens "Asimo" [^2], den kuschelnden Kissenroboter (kurz: "The Hug"), der kürzlich von der Carnegie University publiziert wurde[^3] oder auch schon die in den 1950er Jahren populäre Schildkröte (Tortoise) von dem Neurophysiologen und Roboterforscher William Grey Walter[^4] sowie die ewig sich reproduzierenden Vorstellungen einer Service-Robotik inklusive der Vorstellung eines intelligenten Wohnens im wortwörtlichen Sinne umsetzt und zur Darstellung bringt. [^5] Ob in solchen Artikulationen einer "Shared Agency" das Begriffspaar Subjekt und Objekt oder Natur und Künstlich sowie Mensch und Maschine nicht überwunden sondern umgangen oder gar umgarnt wird, steht zur Disposition. Wie wird der Raum zwischen mehreren Stilen, die ihren Ton auch in den unterschiedlichen Disziplinen finden, aufgetan? Inwiefern geht mit der Wissenschaftsvermittlung auch eine "Vulgarisierung der Wissenschaft" einher?

Ich möchte in diesem Text in zwei Schritten vorgehen und "die Fragen des Stils" formulieren: Erstens soll der Begriff "Stil" in Anlehnung an seine wortgeschichtliche Herkunft befragt werden, die dann an Hand der Überlegungen von Friedrich Nietzsches Stilfragen und Jacques Derrida's Relektüre erläutert wird. In diesen theoretischen Konzepten wird die Frau, die ja bekanntlich als Maschine gilt – denke man zum Beispiel an den Turingtest – selbst zum Stil und Simulakrum. Ihr kommt der Stil zu. Stil hat somit im Anschluss an diese Konzepte den Namen Frau. [^6] Wird die Stilfrage in diesem Sinne gelesen, zeigen sich Wege die Geschlechterdifferenz auch als Stilfrage der Wissenschaftsvermittlung zu verstehen.

In einem zweiten Teil werden "die Fragen des Stils" exemplarisch an zwei Darstellungs- Feldern oder –Aspekten: "The Hug" der Carnegie University und der "Tortoises" von William Grey Walter, ausgerichtet. Mit diesen Exempeln soll die technische Vermittlung – wie sie Latour in dem Netz einer "Shared Agency" immer wieder neu formuliert – und ihre Stileffekte in einem ambivalenten Verhältnis diskutiert werden.

Der Stilbegriff

Nehmen wir also an, der Stil sei ein Instrument, welches unweigerlich benötigt wird, um den Gegenstand oder besser noch die Dinge hervorzubringen, so findet man für dieses Bedeutungsfeld Hinweise in der Etymologie des Wortes: Stil. Stil ist seit dem 15. Jahrhundert im Deutschen bezeugt und geht auf (lat.stilus; ital. stile bzw. stilus) Griffel zurück, was auch heißt spitzer Gegenstand, Pfahl, Stiel, Stengel. So ist der Stil auch Sporn, Feder, Dolch oder Stillet. Die Verbindung kann folgendermaßen beschrieben werden: man konnte an einem Schriftstück erkennen, wie (also zunächst mit welchem Griffel) jemand etwas geschrieben hatte.

Der französische Philosoph Jacques Derrida geht in seinem Kommentar zu den Stilen Nietzsches dieser Wortgeschichte weiter nach und schreibt: "Der Sporn, im Fränkischen oder Althochdeutschen sporo, im Gälischen Spor, heißt im Englischen spur. In Les monts anglais bringt dies Mallarmé mit spurn, verachten, zurückstoßen, verächtlich zurückweisen, in Verbindung. Es ist keine faszinierende Homonymie, vielmehr von einer Sprache zur anderen das Werk einer historischen und semantischen Notwendigkeit: englisch spur, der Sporn, ist das gleiche Wort wie deutsch Spur: trace, sillage, indice, marque (Fährte, Schiffsspur, Indiz, Mal)." [^7]

Wird mit Stil eine zweckabhängige Art und Weise des schriftlichen und sprachlichen Ausdrucks, eine charakteristische Ausdrucksform in Kunst und Kultur bezeichnet, so kennzeichnet er die Art, wie etwas gemacht wird. Der Begriff Stil steht für eine charakteristisch ausgeprägte Art der Ausführung menschlicher Tätigkeiten oder deren Manifestationen. Man könnte sagen: Der Stil bezeichnet den Modus und hierzu gehören das Instrument und die Technik. [^8] Dieser Modus kann sich stetig verändern. Das führt Derrida in Anbetracht seiner sowohl ontologiebezüglichen wie ontologiekritischen Analysen dazu, mit unterhöhlenden Überlegungen des Anscheins den "Stilen Nietzsches" zu begegnen. Er hebt hervor: Der Stil kann schützen und verschleiern, er entzieht dem Gegenstand das Hier und Jetzt. Schirmt ihn ab. Die Stileffekte umgarnen und umgehen. Der Stil selbst das Instrument - Technik und Medium - steht vermeintlich der Objektivität, die die technischen wie wissenschaftlichen Fakten hervorbringt, gegenüber. Insofern nun aber der Stil ein solches Simulakrum ist, wäre er, so Nietzsche und Derrida, selbst auch Frau, das was umgarnt, einschreibt und umgibt. [^9] So auch, das was als Wahrheit bezeichnet werden könnte, sich nicht einnehmen lässt, stetig an der Oberfläche ist. [^10] Tiefe Wahrheit, wirkliche Wahrheit gäbe es nur, weil er – der Stil – die Wahrheit – an die die "Frau" im Gegensatz zum "Mann" nicht glaubt - verschleiert und verbirgt. Der Stil trifft also die Wahrheit und stellt Wirkungen her, die Ausformungen einer Wissenschaftsvermittlung sein können.

Der Stil kann in Anlehnung an Heideggers Aufsatz "Die Frage nach der Technik", der auch von Bruno Latour diskutiert wird, als das Wie eines Entbergens bezeichnet werden. Insofern könnte man auch die Technik selbst, die im Unterschied zum Technischen für Heidegger das "Ge-stell" wäre, als Stil benennen. "Ge-stell heißt das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d.h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen. Gestell heißt die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist." [^11] Bezieht man diese Gedanken wiederum auf Derridas Erläuterungen zu den Stilen Nietzsches kann man sagen:

Der Stil ist die Herausforderung ein Denken nicht in einer Oppositionslogik der klassischen Metaphysik nachzuzeichnen sondern durch die supplementäre Logik des Anscheins zu unterhöhlen.

Stileffekte und –verflechtungen in einem interdisziplinären Netz

Latour, der Begründer einer Theorie die ebenfalls versucht jenseits von Oppositionskonzepten insbesondere einer Dichotomie von Menschen und Objekten zu denken und so das Konzept einer "Shared Agency" entwirft, die schwerlich der Stilrichtung einer Disziplin zu zuordnen ist, tut sich als Grenzgänger in den verschiedenen disziplinären Feldern um: der Kunst, Wissenschaftstheorie, Medienwissenschaft und Philosophie u.a.. Er übersetzt den Stil auch mit dem Ton, wenn er von der Analyse unterschiedlicher Gegenstände spricht und für sie jeweils einen adäquaten Stil einfordert:

"Ein Comicstrip, eine Stahlschüssel, ein Artikel von Luis Pasteur und ein religiöses Gemälde lassen sich nicht mit den gleichen Begriffen, dem gleichen Ton behandeln. Daher ist der Stilwechsel, die Möglichkeit, sicher zu gehen, dass man den jeweiligen Gegenstand respektiert, und dass man nicht dieselbe Problematik von einem Thema zum anderen transportiert." [^12]

Trotz des von Latour geforderten Tonwechsels, der abhängig von den (Forschungs-) Gegenständen ist, macht er immer wieder deutlich, dass sein Konzept von Laboren ausgeht, in denen "wir leben": Es gibt keinen Unterschied zwischen der Welt z.B. in den Laboren und außerhalb. Die scharfe Trennung zwischen wissenschaftlichen Laboratorien, die innerhalb ihrer Mauern mit Theorien und Phänomenen experimentieren, und einer politischen Situation außerhalb, in der Nichtexperten mit Wertungen, Meinungen und Leidenschaften auskommen, verschwimmt vor unseren Augen, wenn wir das Konzept einer "Shared Agency" ernst nehmen, formuliert Latour. [^13]

Latours Stil wird häufig auch auf Grund fehlender Trennungen, als populärwissenschaftlich, experimentell und witzig aber auch deklarativ und affirmativ bezeichnet, votierend für ein "Parlament der Dinge: "Alle unsere geliebten großen Abgrenzungen, wir und die Andern, modern und vormodern, the West and the Rest, sind bloß Selbsttäuschungen, die einen Graben ziehen sollen, gerade weil dort keiner zu finden ist. Unterscheiden tun wir uns immer nur in Geraden, die sich in der Anzahl und Stabilität so genannter Aktanten in Netzwerken manifestieren. Die scheinbare Moderne ist nur eine elaboriertere Aneinanderreihung von Sicherheitsnadeln, Messbändern und Teilchenbeschleunigern. Weil diese Dinge jedoch allesamt den Gang unserer Welt mitbestimmen, sollen sie auch zu Wort und Recht kommen, im „Parlament der Dinge.“ ^14 Latour bezieht Stellung für die hybriden Foren, in denen sich die Stile der Disziplinen (Instrumente und Techniken) und Labore mischen, in denen Grenzen überschritten werden. Er geht innerhalb der Foren von einer technischen Vermittlung aus, die das Handeln unter verschiedenen Aktanten aufteilt. Zu den Aktanten zählen Menschen und nichtmenschliche Wesen. Die Vermittlung selbst bezeichnet ein Ereignis und steht immer im Verhältnis zu anderen Ereignissen. Der Tonwechsel, der gemischten Foren, wäre ein Wechsel in der Aktivität der Sprache, deren performative Kraft, folgt man Nietzsches Theorie in Anlehnung an Derrida, die Verführung und Umgehung ist. Denn so schreibt Nietzsche in "Die fröhliche Wissenschaft": "Dies hat mir die größte Mühe gemacht und macht mir immerfort die Größte Mühe: einzusehen, daß unsäglich mehr dran liegt, wie die Dinge heißen, als was sie sind…

Im Ursprung zu allererst ein Irrtum und eine Willkürlichkeit, den Dingen übergeworfen wie ein Kleid und seinem Wesen selbst seine Haut ganz fremd .... Aber vergessen wir auch dies nicht: Nur als schaffende können wir vernichten! Aber vergessen wir auch dies nicht: es genügt neue Namen und Schätzungen und Wahrscheinlichkeiten zu schaffen. Um auf die Länge hin 'neue Dinge' zu schaffen." [^15] Deutlich wird hiermit: Ein Stileffekt, durch die performative Kraft der Sprache initiiert, ist die Distanz, die notwendig ein Netz der "Dinge" entfaltet, welches die Dinge als solche wahrnehmbar macht. Die Fragen nach den Stilen, ermöglichen nicht in das Getöse einer alles versprechenden Inter- oder Transdisziplinarität einzustimmen, die gerne auch als "weibliche Beschaffenheit" naturalisiert und bezeichnet wird, sondern den "Sporn" zu schärfen und eventuell den so genannten Schleier zu durchstoßen, den der Stil vorzieht und durchsticht– auch wenn dahinter keine Sicht frei wird, sondern neue Stile und Effekte sich auftun. Mit Derridas Relektüre Nietzsches zeigt sich: die Frage des Stils ist eine Frage einer spornenden Operation, die stärker ist als jeder Gehalt, jede These und jeder Sinn. Der geschärfte Sporn zerreißt nicht nur den Schleier, um das Ding selbst zu sehen oder hervorzubringen, sondern er löst die Opposition auf, die auch Bruno Latour umgehen möchte. Der Stil gibt vor, wie die Forschungsgegenstände hervorgebracht bzw. fabriziert werden. Mit Rückgriff auf den französischen Philosophen Gaston Bachelard kann man annehmen, diese Forschungsgegenstände existieren nicht in der Natur, sie müssen hergestellt werden. Das heißt, die Natur ist ebenso Stileffekt. Die Forschungsgegenstände nicht nur der Geistes-, sondern auch der Naturwissenschaften haben demnach jeweils eigene, unterschiedliche lange Geschichten, werden auf unterschiedliche Ebene auf unterschiedliche Dauer in die verschiedenen Wissensbereiche implementiert und entfalten dort unterschiedlich starke Wirkungen. [^16] Bruno Latour zieht daraus die Konsequenz: Gerade weil kein einziges wissenschaftliches Faktum gegeben ist, sondern jedes Faktum buchstäblich unter vereinten Anstrengungen einer Gemeinschaft gemacht wird, sollten wir eine gewisse Bereitschaft kultivieren, mit gemischten Erklärungen zu arbeiten. [^17] Das fordert auch gemischte Stile heraus – Techniken und Instrumente -, die gleichzeitig unterschiedliche Töne angeben und deren Schleier sich übereinander schichten werden, gleich einer Zwiebel. Anhand von zwei exemplarischen Darstellungen eines Forschungsfeldes sollen Stilfragen am Gegenstand konkretisiert werden.

Ihre Darstellungs- und Vermittlungsprobleme sind auf dem Feld der (Service-) Robotik angesiedelt und betreffen die Anthropomorphisierung, und auch die Naturalisierung der Forschungsfragestellungen selbst.

Anthropomorphisierung . Eine Frage des Stils.

Die Frage nach der Funktion der Antropomorphisierung in ihren unterschiedlichen Ausformungen begleitet die vielen phantastischen Geschichten von Automaten seit dem vorletzten Jahrhundert, aber auch die von Doppelgängern und Traumfiguren und die folgenden von Robotern. Sie ist Ausgangspunkt für die Beschreibung zahlreicher Mensch- Maschinen-Verhältnisse – auch wenn sie, wie zum Beispiel von Latour deklariert – heute eher als immer schon dichotomes modernes Konzept umgangen werden sollte. Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich die so genannte Anthropomorphisierung in der Automaten- und Roboterforschung insbesondere zweier Konzepte bedient:

a. Die Maschine ist Apparat, der durch Krafterzeugung und Kraftübertragung menschliche Arbeit spart. b. Die Maschine fungiert als Modell zur Erklärung menschlicher Kompetenzen

Die Technikphilosophin Sybille Krämer zeigt, dass diese zwei Konzepte wiederum unterschiedlicher Erklärungsversuche des so genannten Mensch-Maschinen-Verhältnis bedingen:

Es wird zum einen davon ausgegangen, dass eine ontologische Differenz von Mensch und Technik besteht, bezogen auf kategoriale Unterscheidungen von Künstlichem und Natürlichem: Was das Natürliche vom Künstlichen unterscheidet wurzelt weniger in seiner Gestalt, sondern in seiner Genese. Das durch Kunst Hervorgebrachte hat seine Ursache in einem Hervorbringenden. Beim technischen Artefakt geht es bei diesem Erklärungsversuch also darum, seine Essenz der Existenz vorausgehen zu lassen.

In einem weiteren Erklärungsversuch wird eine funktionale Äquivalenz angestrebt und angenommen: Mensch und Maschine stimmen in funktioneller Hinsicht überein. Im Rahmen dieses Versuches wird aber auch davon ausgegangen, dass Technik zur Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten dient. Während das erste Konzept die Differenz durch eine Gestaltähnlichkeit auszugleichen sucht, sieht das zweite Konzept eine Funktionsähnlichkeit. Eine dritte Möglichkeit, die insbesondere das 2. Konzept, in der die Maschinen als Modell menschlicher Kompetenzen fungiert, unterstützt verwendet nun das technische Artefakte für die Erklärung menschlicher Fähigkeiten. Das Technische wird hier zum Medium von Modellbildung und Erkenntnis. Wird diesem Ansatz gefolgt, ist das Einfalltor für Ängste vor einer Technik, die den Menschen überwältigen kann, gegeben. Eine Position, die Latour bei Heideggers Aufsätzen "Die Frage nach der Technik" und "die Technik der Kehre" entwickelt findet. [^18]

Bei allen drei Erklärungsversuchen wird von einer funktionellen Gleichgerichtetheit von Mensch und Technik ausgegangen. Diese kann nur erreicht werden, indem angenommen wird, die Maschine täuscht. Zum Beispiel soll die Falle eines Jägers wirksam sein, setzt dies voraus, dass sich das Opfer (Tier) täuschen lässt. [^19] Auch der Turingtest, der einer Maschine genau dann Intelligenz zusprechen will, wenn es gelingt vorzutäuschen Mensch zu sein, vermag diese Täuschung als Funktionstüchtigkeit der Maschine zu werten. [^20] Die bekannte und populäre Ente von Vaucançon, die sogar ihre Verdauung täuschend echt vorzuführen vermochte, kann ebenfalls in diese Reihe gestellt werden. Täuschungen und List, die als Modus des anthropomorphiserenden Stils bezeichnet werden können, sind Voraussetzung dafür, dass die Maschine überzeugt – auf populärem wie auf wissenschaftlichem Feld. Die ontologische Differenz bzw. Indifferenz von Mensch und Maschine kann durch Kulturtechniken (wie die symbolische Maschinen, die Sybille Krämer untersuchte) also die Maschine in uns, unterlaufen werden. Das heißt auch, das was Menschen tun, als Inkorporationen technischer Abläufe zu interpretieren. [^21]

Mit den nun folgenden Beispielen möchte ich Stile vorführen, die unterschiedliche Aspekte der Anthropomorphisierung anstreben. Ein Konzept, welches eine Tätigkeit des Menschen ersetzen soll, (helfen sollen) steht adaptiven, selbstorganisierenden Ökosystemen gegenüber.

Beispiel: "the HUG" (das Prothesenkissen)

"The HUG" ist ein Projekt von DesignerInnen unterschiedlicher Fachrichtung an der Carnegie University. Dieses Projekt, das auch in vielen populären Magazinen vorgestellt bzw. vermarktet wurde, wird von den ForscherInnen und EntwicklerInnen selbst wie folgt beschrieben:

"The Hug presented here is a challenge to the familiar telecom products. A visionary design born out of research with elders, the Hug addresses a very human need for physical closeness in remote communications. It uses the same network infrastructure as many appliances today, but places a new face on human product interaction." [^22]

Das im Rahmen des Projektes entwickelte Kissen soll also als Ersatz für menschliche Nähe und Fürsorge eingesetzt werden, Bedürfnisse der Menschen erfüllen. Erzielt wird das durch Funktionsähnlichkeiten– auch das Kissen umarmt. Das entsprechende Erleben wird dann durch die visuelle und haptische Ähnlichkeit des Kissens mit "menschlichen Armen und Oberkörpern" erzeugt.

Die ForscherInnen und DesignerInnen selbst schreiben: "Our Project on People and Robots is researching and developing compelling robotic products for the aging population. Specifically, we are interested in the design of products that allow elders to lead fulfilling and safe lives independent of institutional care. We believe as designers, that we can shape future robotic products to be more appropriate and sensitive to the human experience." ^23 Die HugforscherInnen formulieren insofern ihre Ziele für ein vertrautes, gewöhnliches allgemein gebräuchliches Setting: Ein 1-Zimmer-Appartemnt, in dem eine ältere Person (zumeist Dame) wohnt, fernab von ihrer Tochter und somit ohne körperliche Nähe eines Anderen.

"Mary lives on her own in a one-bedroom apartment. Her daughter Jean, who she is close to, lives many hours away. Mary feels frustrated that she is not able to share in her grandchildren’s day-to-day experiences of growing up. Her daughter Jean worries about Mary being alone. The Hug helps Mary feel more connected to Jean and her children. Mary and Jean each have a hug and can use it to communicate and send “physical” greetings to one another." ^24

Der Kommunikationsvorgang wird im Rahmen eines einfach festgelegten Zeichensystems realisiert:

"(...) Communication is initiated by squeezing the left paw, and speaking the receiver’s name into the microphone. Once a connection is established, senders can squeeze, stroke, hug or pet the Hug, activating pressure sensors and accelerometers inside. Communication is terminated by squeezing the right paw. The base stores caller information is used to create a Hug network. A Hug network is a closed set of people. Hug info for this group is programmed into the base using a memory card or a standard telephone interface. Lights and sounds signal incoming hugs. Up to four hugs can be stored in a queue; these are signaled on the base using a gently blinking light. During the hug, the sender and receiver have an open voice channel. In addition, sensor data is compiled and correlated to light, heat, and vibrations." ^25

"The Hug" zeugt also von technischen Vermittlungen, die einem Stil geschuldet sind, der eine Funktions- und Darstellungsähnlichkeit von Mensch und Maschine voraussetzt, da diese sowohl als Vermarktungs- und Erfolgsstrategie wie auch als grundsätzliche Voraussetzung für das Projekt eingesetzt wird. Übertragen auf die diesem Text vorangestellten theoretischen Prämissen heißt das: Die Anthropomorphsierung wäre so der Stil, das Instrument, die Umarmung des Kissens als menschliche zu indentifizieren- trotz allen Wissens.

Beispiel: Tortoise (Die Schildkröte)

Die "Schildkröte", die William Grey Walter 1948 erstmalig baute, wurde von dem Technikphilosophen und Soziologen Andrew Pickering als Versuch gegen die Moderne bewertet. Sie war ein elektromechanischer Roboter, der auf seine Umwelt reagierte und von seinem Konstrukteur "Tortoise" genannt wurde. Obwohl nicht originär als Kunstwerk konzipiert, wurden die "Tortoises" in den 1960er Jahren von dem Kunsthistoriker Jack Burnham als am Beginn einer Kunstrichtung stehend bezeichnet, die die Skulptur als System begreift. Solche Systeme wie die kybernetischen Skulpturen von Nicolas Schöffers, die Roboter Thomas Shannons oder Nam June Paiks etc. werden u.a. von Burnham seit den späten 1960er Jahren zur kybernetischen Kunst gezählt, genauso wie von Computern generierte Gemälde, Gedichte, Grafik oder Musik. [^26] (vgl. zahlreiche Ausstellungen zu Computerkunst seit dem Ende des 20. Jahrhunderts)

Anhand der Diskussion um den Forschungsgegenstand "Tortoises", an der sich, wie auch hierdurch deutlich werden kann, unterschiedliche Disziplinen (Kybernetik, Neurophysiologie, Informatik, Kunstgeschichte etc.) beteiligten und beteiligen, zeigt sich, dass in einem transdisziplinären Netz verschiedene "Stile" den Gegenstand selbst fokussieren. Wie aber konnte die Schildkröte zum Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung werden? Was kann sie vorführen?

Die gebauten, konstruierten und elektromagnetisch funktionierenden Schildkröten konnten zeigen wie aus einem sehr einfachen Schaltkreis recht komplexe Formen strukturierten Verhaltens entstehen könne. [^27] Ziel des Konstrukteurs war es sich über den Bau einer elektromagnetischen Maschine den Bau des menschlichen Gehirns zu verstehen bzw. dieses zu erforschen. Insofern sollten die Tortoises nicht das menschliche Hirn nachahmen oder nachbilden sondern erkunden.

Die Schildkröte bildet eine materielle Veranschaulichung einer Theorie des Gehirns und seiner Arbeitsweise. Sie galt als ein performatives und verkörpertes Gehirn, in Form der Schildkröte. Die daraus entwickelte These für die Gehirnforschung kann lauten: Das Gehirn funktioniert als eine Art Rangierbahnhof zwischen Motoren und Sensoren und nicht als ein hierarchischer Aufseher, der das Geschehen von oben steuert. Ohne Sensoren oder Motoren bestand das Schildkrötengehirn nur aus einer handvoll Träger Komponenten. BILDER 5-8 Als exponiertes Beispiel wurde der Spiegeltanz der Schildkröte beschrieben. Die an einem Spiegel vorbeikommende Schildkröte wurde von der Spiegelung ihres eigenen Lichts angezogen wird, welches dann jedoch wieder erlischt, sobald die Schildkröte darauf zufuhr; wenn die rotierende Suchbewegung der Vorderachse wieder anhob, leuchtete das Licht wieder auf und zog das Licht der Schildkröte von Neuem an. So führte sie flatternd und zitternd, trippelnd eine Art Spiegeltanz vor. Es konnten Verbindungen zwischen Zweckgerichtetheit und Rückkopplung aus der Umwelt wieder erkannt bzw. beobachtet werden.

Das Gehirn wird hier als performatives, inkorporiertes Organ verstanden. Andrew Pickering hebt hervor, dass die frühe Künstliche Intelligenzforschung (KI-Forschung) im Gegensatz zu diesem Konzept von einem dualistischen Bild ausging, welches letztlich menschliche Intelligenz auf einer Maschine, dem Computer, simulieren wollte und gleichzeitig reproduzierte dabei einen dem Common Sense nahe stehenden Geist-Körper-Dualismus, da sie kognitive Prozesse als Repräsentationen definierte, als von körperlichen Vorgängen verschieden, die die körperlichen hierarchisch kontrollierten. [^28]

Walter hingegen erkannte im Gegensatz zu den frühen Konzepten einer KI-Forschung selbst, dass die Schildkröte nicht nur als Modell für das Gehirn sondern auch als performatives technisches Artefakt fungieren konnte, als adaptives System, wie sich mit dem Spiegeltanz zeigte:

Die Schildkröte reagierte in Echtzeit auf Umstände, in denen sie sich befand. Die Komplexität des Verhaltens der Schildkröte ging aus ihrer Beschäftigung mit einer komplexen Umgebung hervor und variierte mit den spezifischen Konturen dieser jeweiligen Umgebung. Die Komplexität war nicht durch ihre Entwickler in sie eingebaut worden; weder war sie programmiert noch in die Hardware implementiert. Die Schildkröte schaffte sich – stellt man den gerade benannten Aspekt des komplexen Verhaltens in den Vordergrund – ein Ökosystem und agiert selbst in einem, dem Vorhandenen.

Wie wurde dieses komplexe Feld eines performativen Artefakts vermittelt? Woran liegt es aber nun, dass die Schildkröte geradezu so berühmt wurde? Warum wurde sie so populär- ohne dass anwendungsorientierte Versprechen mit ihr bei der Vermarktung verbunden wurden?

Es liegt wohl weder in ihrem Einfluss auf die Wissenschaften des Geistes und des Gehirns noch in ihrer ungewöhnlichen Art von Technologie begründet, dass so viele Menschen von den Schildkröten gehört haben. Es liegt daran, dass die Schildkröten unterhaltsam und mit menschlichem Verhalten identifizierbar waren: Walter führte sie vor, und das Publikum mochte sie. 1949 demonstrierte er die Schildkröten mit den populären Namen Elmer und Elsie zum ersten Mal der Öffentlichkeit, obwohl sie noch hinsichtlich ihrer Funktionstüchtigkeit recht unzuverlässig waren. Drei der von Bunny Warren gebauten Schildkröten wurden 1951 beim "Festival of Britain" gezeigt, andere wurden in den fünfziger Jahren regelmäßig der Öffentlichkeit vorgeführt. Walter ließ sie z.B. etwa bei einem Treffen der "British Association for the Advancement of Science" herumlaufen, wo, wie Pickering berichtet, sie ein lebhaftes Interesse für Frauenbeine zeigten: vermutlich angezogen von den Licht reflektierenden Eigenschaften von Nylonstrümpfen. Nach dem "Festival of Britain" schickte man eine der Schildkröten in die USA, um dort als Prototyp für ein Sortiment von transistor- Kinderspielzeugen zu dienen, die nie in Produktion gingen. [^29]

Ähnlich wie der Roboterhund "Aibo" von Sony [^30] waren die Schildkröten – trotz ihrer wissenschaftlichen Aufgaben – schon damals Objekte populärer Unterhaltung. Die Popularität stellte sich auf Grund der in ihnen erkannten anthropomorphen Funktionsweise ein. Jeder Mensch wusste, es sind Maschinen, aber sie verhielten sich wie Lebewesen. Verfolgten Ziele, nahmen Hindernisse, tanzten selbsttätig etc.

Pickering geht sogar soweit zu formulieren: die Schildkröten lösten die Empfindung eines Wunders aus, da sie die Grenzen zwischen Belebtem und Unbelebten etc. verletzten. [^31] Könnte man es aber nicht auch so formulieren: dass sie dies Erstaunen auslösen, da sie an etwas Altbekanntes oder Verdrängtes erinnern, und das insbesondere auf Grund ihrer Reaktionsfähigkeit.

Sicherlich ist bezüglich der Popularität der Schildkröten auch zu berücksichtigen: Walter selbst war Neurophysiologe, EEG-Pionier und Autor von Romanen. Die Schildkröten ermöglichten es Walter zugleich Ingenieur, Gehirnwissenschaftler, Schriftsteller und Fernsehfigur zu sein, prädestiniert für eine populäre Wirksamkeit, die zum Beispiel auch bei dem Projekt und Prototyp "The Hug" von vornherein als Ziel formuliert wurde. Ähnlich populäre Wirksamkeit hat heute das schon erwähnte international agierende Forschungsprojekt Robocup, die Weltmeisterschaft der Roboter, mit ihren verschiedenen Ligen, die bei ihrem 10. Treffen 2006 in Deutschland/Bremen und 2007 in Atlanta/USA stattfand – mit ihren 2500Teilnehmern, (internationalen Informatikern, Ingenieuren) und 440 gemeldeten Teams aus 36 Ländern. In der Presseerklärung auf der Website des Veranstalters des Technologie Zentrum für Informatik Bremen heißt es:

„Nach dem Anpfiff müssen sich die Roboter völlig autonom, das heißt ohne Fernsteuerung, über das Spielfeld bewegen – auf Rädern, vier oder zwei Beinen oder aber als virtuelle Spieler. Dabei sollen sie möglichst genau ihren Standort lokalisieren, die Bewegung der anderen Spieler und des Balls verfolgen und in geeigneter Form darauf reagieren.... Der RoboCup biete den Forschern die Plattform, dass Erreichte im direkten internationalen Vergleich mit ihren Kollegen zu testen und so gemeinsam Fortschritte in den jeweiligen Fachdisziplinen zu erzielen. ... Das entscheidende Ziel der RoboCup-Initiative ist, bis zum Jahr 2050 ein Team aus völlig autonomen humanoiden Robotern zu entwickeln, das gegen das menschliche Weltmeisterteam im Fußball antreten und auch gewinnen kann." [^32]

Ziel der "Robocup" ist es, öffentliche Anerkennung für eine Maschine zu erhalten, die genauso gut wie der Mensch oder gar besser agiert und taktiert- hier auf dem Feld des Fussballspielens. Dieses Ziel kann man auch bei dem Projekt "The Hug" erkennen, und ist von Walter mit den "Tortoises" maßgeblich erweitert, wenn diese eingesetzt werden, um Abläufe des Gehirns zu erforschen, kennen zu lernen und zu beobachten und eben nicht nur um genauso gut zu funktionieren wie das Schildkröten-Gehirn selbst. Dennoch kann man sagen, dass alle drei Beispiele "the Hug", die "Robocup" aber auch Walters "Tortoises" populäre Wirksamkeit erzielt haben, was mit Bruno Latour auch als Stil der "Vulgarisierung der Wissenschaft" beschrieben werden kann.

Vulgarisierung in der Wissenschaft: Eine Frage des Stils.

Vulgär (lateinischen vulgaris von volgus, vulgus.) heißt "große Menge, Masse , Pöbel". Vulgär bezeichnet etwas Allgemeines, Alltägliches und Allgemein-Übliches. Vulgär steht im 18.Jhd. für gewöhnlich, grob, unfein, ordinär. Ab dem 19.Jhd. bedeutet es aber auch soviel wie vereinfacht, unwissenschaftlich, oberflächlich (z. B. wie die Wahrheit Nietzsches). Dieses Bedeutungsfeld ist hier von Interesse.

Latour unterscheidet etwas kryptisch zwischen der Fröhlichen Wissenschaft – wie sie auch Nietzsche benennt -, die sich in Aktion befindet, und der Vulgarisierung derselben in den Zeitungen. Die vulgäre Wissenschaft glaubt an die Wahrheit. Er beschreibt in einem Interview von 1997 dieses Verhältnis.

Gustav Roßler, der Interviewer, konfrontiert Latour mit folgender Aussage: "Aber im Vorwort zum Berliner Schlüssel polemisieren Sie gegen die Vulgarisierung der Wissenschaften in den Zeitungen und sprechen sogar davon, dass es ein konstitutionelles Recht geben müsste, die Wissenschaften zu ignorieren?" [^33]

Latour antwortet: "Die Vulgarisierung (...) heißt für mich Verbreitung einer fertigen Wissenschaft, der wissenschaftlichen Resultate, und damit bin ich nicht einverstanden. Die Bewegung der Liebhaber von der Wissenschaft von der Öffentlichkeit zu den Wissenschaften. Es handelt sich nicht darum, die Wissenschaft in der Öffentlichkeit zu verbreiten." [^34]

"Fertige Wissenschaft" bedeutet nach Latour Transzendenz, was heißt: die Beziehung zu den Praktiken der Wissenschaftler zu nivellieren. Vulgarisierung bzw. fertige Wissenschaft bedeutet eine Berufung, eine Wahrheit, um nicht mehr zu diskutieren. Die Vulgarisierung der Wissenschaft, die aus der Perspektive feststehender Fakten und dem Glauben an sie hergestellt wird, steht einem von Latour vertretenen System aus Menschen und nichtmenschlichen Wesen gegenüber, in dem sich diese erst durch ihr Handeln im Netzwerk positionieren, in dem Präpositionen vorübergehend geschaffen werden, in dem Wissenschaft als eine riskante leidenschaftliche Aktivität bezeichnet wird. Insofern könnte man auch behaupten: Der Stil der Vulgarisierung wäre das Instrument und die Technik, feststehende Fakten – auch Bedürfnisse und Ziele – allererst zu schaffen bzw. solche Transzendenzen in der Wissenschaft herzustellen.

In dem kurzen Band "Von der Realpolitik zu den Dingen oder wie man Dinge öffentlich macht", welchen Latour 2004 publizierte, fokussiert er dieses Problem erneut: "Für die Wissenschaften sind Transparenz und Unmittelbarkeit so schlecht wie für die Politik; beide würden daran ersticken. Wir müssen fähig werden, entzweiende Streitfragen mit ihrem langen Gefolge Beweise liefernder komplizierter Apparaturen in die Versammlungen zu bringen. Kein unmittelbarer Zugang zur Einigung; kein unmittelbarer Zugang zu den Tatsachen. (...) Warum sollten wir uns plötzlich eine Redekunst vorstellen, die völlig ohne Mittel, Werkzeuge, Tropen, Tricks und Kniffe auskäme und durch eine einzigartige transparente Wundersprache die Fakten in die Arenen tragen könnte?"35

Ist nun mit Vulgarisierung eine Technik beschrieben, die Dinge vereinfacht, um sie verständlicher zu machen, wäre sie auch ein Werkzeug Disziplinen in einem Dialog zu etablieren, allerdings nicht um neue Strukturen und Fragen zu bewegen sondern um Vorhandenes zu bestätigen. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn Latour sagt:

"Ich glaube nicht sehr an die Disziplinen, das stimmt, dennoch gehen für mich die Beziehungen nicht durcheinander. Ich verwende sie, wie die unterschiedlichen Stile, von denen wir vorhin sprachen, in Funktion der unterschiedlichen Fragestellungen. Wie sie wissen, gibt es in einem Labor immer unterschiedliche Instrumente, Techniken, die man abhängig von den Fragestellungen verwendet." [^36]

Wenn man der Theorie Latours weiter folgt, kann man annehmen, dass auch die Auswahl der entsprechenden Techniken aus den Geflechten selbst entwickelt wird, denn so seine These: Es gibt kein außerhalb des Kollektivs, der Tauschkreisläufe.

"Man sollte differenzieren in Aussageregimen, nach charakteristischen Assoziierungsweisen. (...) also ich habe keine Angst davor zu differenzieren, man kann nicht alles in den gleichen Topf werfen, aber diese Differenzierung folgt Netzen, Nervaturen und nicht Bereichen, Sphären oder Oberflächen." Indem man empirisch den heterogenen Assoziierungsweisen folgt, ließe sich vielleicht eine Komplexität eröffnen, die einer Vulgarisierung der Wissenschaft – wie sie die anthropomorphen Strukturen von "the Hug" zum Beispiel vorführen – ein Schnippchen schlägt, sie umgeht, um im Netz der Instrumente, Techniken und Texte Stileffekte zu entfalten, die auch im Netz selbst walten und nicht zu "alten Tatsachen und unumstößlichen Fakten", einer fertigen Wissenschaft, die vorformulierte Anliegen beantwortet, werden. Eine solche Komplexität ließe sich nicht mit der Etablierung eines neuen Expertensystems eröffnen, welches nur diese einsetzt, um die Vermittlung (Verallgemeinerung, Mitteilung, Vereinfachung) zur übrigen Gesellschaft zu verantworten. In den vielfältigen Netzen wird – so kann man u.a. den Texten Latours entnehmen - die Stellung des Experten ständig untergraben, auch durch die Redekunst. [^37]

Die Frage des Stils ist also die einer Netzwerktechnik, bei der nichts außer Frage steht und in der die unterschiedlichen Bereiche, in Vermittlungsprozesse verstrickt werden, deren Ausgang allererst erforscht werden soll. [^38] Fakten erscheinen so als abhängig vom Stil, abhängig von der Frage wie man Dinge öffentlich macht, von einer empfindlichen Ästhetik des Malens, Zeichnens, der Beleuchtung, des Blicks, des Zusammenbringens von etwas vor unseren Augen. [^39] Denn so schreibt der Wissenschaftsforscher und Molekularbiologe Hans Jörg Rheinberger:

"Wir können nicht mehr zurück, wir können nicht auf die Transzendenz der Natur oder der Rationalität hoffen, um zu retten. (...)" [^40]

Auch das, was wir als Natur bezeichnen könnten, würde zum Stil, zum spitzen Gegenstand, welcher den Modus vorgibt, der er selbst ist. Der Stil, der im Sinne der derrida'schen Lektüre Nietzsches "Frau" wäre, umgarnt und umgeht. Mit ihm wäre nicht mehr auf eine Transzendenz der Natur zu hoffen, um Menschen und Maschinen, oder Lebende und Nichtlebende weiter beziehen zu können. Die Grenzen neu definieren zu können sowie diese Dichotomien weiter zur Disposition zu stellen, könnte zum Stil eines Vermittlungsprozesses werden. [^41]

[^1]: Mittlerweile hat Sony die Produktion der Roboterhunde namens Aibo eingestellt, wodurch in den kommenden Jahren bei der Robocup wohl auf die Fourlegged-League vezichtet werden wird. [^2]: 2006: http://www.robocup2006.de. 2007: http://www.robocup-us.org allgemein: http://www.robocup.org; alle zuletzt gesehen 20.7.2007 [^3]: Carnegie University, The hug. http://www.cmu.edu/research/centers.shtml#Robotic. [^4]: William Grey Walter's Tortoises "Machina Speculatrix" Zum Beispiel: http://www.cerebromente.org.br/n09/historia/documentos_i.htm [^5]: Insofern soll hier die Frage nach den Artikulationen einer modernen Servicerobotik als Stilfrage erötert werden. Hierbei findet die Stilgeschichte der Automaten und Roboter bzw. die Wissenschafts- und Forschungsvermittlung Berücksichtigung. Allerdings steht die Exponierung eines Stilbegriffs im Vordergrund, der dazu beitragen kann, der die Wissenschaftsvermittlung heute- gerade im Feld der avancierten Technologien – zu reflektieren. [^6]: …und Frau ist die Wahrheit, von der sie weiß, dass es sie nicht gibt. Vgl. Derrida, Stile Nietzsches, 135 [^7]: Derrida, Stile Nietzsches, 132 [^8]: Allerdings könnte der Stil – Technik und Instrument zugleich –auch mit Medium übersetzt werden, insbesondere hinsichtlich des Bedeutungsgefüges Abschirmen/Schirm. ("Der spornende Stil (us) ...ist auch...der Regenschirm." Derrida, Stile Nietzsches, 133) Allerdings stünde dann der Aspekt des Als ob, des Verführens und Umgarnens nicht so sehr im Vordergrund, sondern der Vorgang der Übersetzung, der wechselwirksamen Funktionsweisen eines spezifischen Gefüges aus vor-/technischen Dingen, Gebrauchsweisen und deren Bildern davon. Die Diskussion inwiefern die Stile Medien in einem wechselseitigen Bedingungsgefüge wären, kann hier nur angezeigt, könnte aber lohnend an anderer Stelle weiter erarbeitet werden. (vielen Dank an Jakob Krameritsch für diesen einleuchtenden Hinweis) [^9]: Derrida, die Stile Nietzsches, 139 [^10]: Derrida, die Stile Nietzsches, 138 [^11]: stellen nicht nur im Sinne von herausfordern sondern auch darstellen; Heidegger, Die Frage nach der Technik, 24 [^12]: Latour, Interview mit Roßler, 43 [^13]: Latour, Tatsachen, 20

[^15]: Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, 84 [^16]: Rheinberger, Konkretes, 9 [^17]: Rheinberger, Konkretes, 9 [^18]: Vgl. Latour, Über technische Vermittlung, 31 [^19]: Krämer, Maschinenwesen, 211 [^20]: Krämer, Maschinenwesen, 212 [^21]: Krämer, Maschinenwesen, [^22]: The Hug. http://peopleandrobots.org/admin/uploads/disalvoROMAN.pdf. zuletzt gesehen 10.4.2007

[^26]: Conrads, Menschen, Maschine, 94 [^27]: Pickering, Mit der Schildkröte, 108 [^28]: Pickering, Mit der Schildkröte, 114 [^29]: Pickering, Mit der Schildkröte, 117 [^30]: Sony hat mittlerweile die Produktion dieses von der RoboCup federation vielgenutzten Roboterhundes eingestellt. [^31]: Pickering, Mit der schildkröte, 118 [^32]: Presseerklärung der RoboCup 2006. http://www.robocup2006.org/sixcms/detail.php?id=650 [^33]: Roßler, Interview mit Latour, 43 [^34]: Latour, Interview mit Roßler, 43 [^35]: Latour, Realpolitik, 28. [^36]: Latour, Interview mit Roßler, 45 [^37]: Latour, Tatsachen, 33 [^38]: Latour, Tatsachen, 34 [^39]: Latour, Realpolitik, 32 [^40]: Rheinberger, Konkretes, 11 [^41]: Stengers: Wir wollen nicht länger studieren, was stabil bleibt, sondern vielmehr das was sich verändert, die geologischen und klimatischen Revolutionen, die Evolution der Arten, die Genese und Veränderung der Normen. Stengers, Die Erfindung der Modernen Wissenschaft

Literatur

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Bilder

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